Belastungen

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Belastungen

Beitragvon Prof » Mo 16. Feb 2009, 22:20

Fangen wir es also etwas anders an. Was soll denn das Gejammere von wegen viele Stunden. Eiunmal ein Beispiel:
Italien Tournee Anfang September mit Sawallisch. Programm 1: Don Juan, Till, Heldenleben Programm 2: 7.Beethoven, Heldenleben. Anspielprobe in Pompei 19:00, 35 Grad. Don Juan ganz durch; Konstantin hat verstärkt; Till im Original mit 8 Hörnern, fast ganz durch, Heldenleben auch halb durch (kein Verstärker am 1.Horn), Meistersinger Vorspiel (Zugabe) halb durch; 30 min. Pause, Konzert volles Programm. Da brauchst eben Reserven. Am nächsten Tag 6 Stunden Bus ganz runter in den Stiefel. Wieder Anspielprobe mit Siebter und Heldenleben, 45 Min. Pause, Konzert, Siebte mit 4 Hörnern, kurze Nacht, mit dem Bus & Schiff nach Sizilien übergesetzt und Neunte Beethoven in Taormina. So ging es vierzehn Take ohne Pause. Versteht sich als Urlaubsmugge. Versteht sich auch, gut bezahlt. Aber immerhin, es muß alles geblasen sein. Dann ging es gleich dienstlich weiter, u.z. Gastspiel in der Scala mit Liebe der Danae (gepfeffert), Daphne (= wie das zweite Strauss, nur fünfmal solang und fünfmal so viel, gesamter Umfang vom Grossen G bis rauf zum d3) und zur Feier des Tages noch Schweigsame Frau jeweils am Tag nach Daphne, alles dreimal. Nach der ersten Vorstellung fuhr ich kurz nach Torino, um mich mit den Nalli Brüdern zu treffen, hatte aber am Spätnachmittag noch eine Kammermusikprobe in der Scala, - zum Glück ! Denn da kam mein alternierender Kollege (er war vorher nicht auf der Muggen-Tournee dabei !) mit einer Riesenpletsche auf der Oberlippe an. "Kannst Du gleich nachher bitte die Daphne übernehmen ! Bei mir geht nichts mehr !" (Fieberblase, aber was für eine.) Da wurde er gleich ins Flugzeug zum Heimflug beordert. Dann habe ich eben alle sechs Strauss Vorstellungen gespielt. Wie heißt es: "Arschbacken zusammenzwicken, und durch !"

Und da wird dann wegen ein paar Walzer gejammert ? (Natürlich tut das Einsparen bitter weh !). Übrigens, diesen Andrieu-Betrug könnte sich der Bursche in den USA oder Japan nicht leisten (mit Konserve auftreten und nur mimen.). Das würde nur ein einziges Mal funktionieren. Weg aus dem Geschäft heißt es dann.

Und wie war das, - Hans bestätige das doch ! - mit der Bierzeltmusik oder im Gastgarten mit der Blasmusik ? Nach dem Aufmarsch (2 - 3 Stunden im Marschieren spielen) und vorhergehendem Weckrufmarsch (1/2 8 in der Früh), dann von 14:00 bis 22:00 im Garten gespielt. Da raucht der Ansatz. Wenn man es aber richtig gemacht hat, u.z. mit Hirn, war der Ansatz auch nicht hinüber. Oder im Ballorchester im Fasching von 20:00 bis um 05:00 - gibt´s ja nicht mehr. Verdient haben wir auch was dabei; so nebenher damals gar nicht schlecht.

Trotzdem, die Situation ist jetzt aber demütigend für fast jeden jungen Musiker. Dazu kommen noch die oft maßlos arroganten Nichtskönner Pinsler, die nichteinmal die Instrumente am Klang erkennen können, den Kopf nur in der Partitur bei der hundertsten Aufführung des gleichen Stückes ..... aber große Goschn führen ...... Beim nächsten Konzert einfach einbrechen lassen. Beim Runterschlagen eben nicht spielen, sondern mit 1 Sekunde Verzögerung - aber perfekt dann. Dieser Schock kuriert selbst hartgesottene Pinsler. - Wird gelegentlich fortgesetzt.
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Re: Belastungen

Beitragvon www_corno_de » Di 17. Feb 2009, 07:23

Ich liebe ja solche Aufzählungen, davon kommen sicher noch einige. Manche können nichts dafür, das der liebe Gott auf ihre Lippe gepinkelt hat. Bei den Stahllippen kommt das Verständnis meist erst mit einem persönlichen Einbruch. Erst dann wird reflektiert und man zeigt Verständnis . Habe ich interessanter Weise schon mehrmals erlebt.

Über die Stundenzahl wurde auch nur geschrieben, um zu zeigen, das der Verdienst an diesem Abend unter einem Handwerker lag.
"Arschbacken zusammenzwicken, und durch !"


Der schlechteste Rat, den ich mir zur Situation vorstellen kann. Auch hier sind mir Fälle bekannt, die in kleinen Orchestern dies taten und nun gar nicht mehr spielen können.
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Re: Belastungen

Beitragvon Prof » Di 17. Feb 2009, 08:35

Robert !

Habe alles auch erlebt, auch totale Versager, totale Verweigerung der Lippen, alles. Niemandem bleibt das erspart. Erst dann kommt man darauf, daß man etwas falsch gemacht hat, - und was man falsch gemacht hat. Sommer 1972, Olympiasommer. Festspiele und nächtelang im Studio (ja, das gab es damals noch zur Genüge !). Nach so einigen Tagen "Gewaltmarsch" eine simple Probe morgens um 1/2 10 ausnahmsweise. Gar nichts ging mehr. Die Lippen waren aber nicht geschwollen. Überhaupt nichts ging mehr. Totale Blockade. Kein Ton. - Zweimal ums Studio gelaufen, tief geatmet, hundert Kniebeugen, einige Minuten total abschalten, Null denken oder nur schwarz. Neuer Versuch, ganz locker, zwei Tonleitern ganz ohne Druck. Siehe da, es ging wieder.

Was war die Ursache für den Zusammenbruch ? Nervliche Überreizung ? Sicher. Zu viel an Konzentration. Zu viele Zigaretten (Damals rauchte man noch bedenkenlos ! Was waren wir doch Idioten !), einige Gläser Bier, ganz wenig Schlaf. Zum Glück nicht mit dem Mundstück zu viel gedrückt. Dann wäre alles kaputt. Das extrem schmalrandige Mundstück wehrt sich gegen den starken Druck, da es zurückbeißt.

Zweiter Zusammenbruch: London 5.März 1972, Gastspiel mit Capriccio & Ariadne; Eisi (Eingeweihte wissen wer das war) hatte am nächsten Tag 34.Geburtstag. Vom Flug waren noch drei Flaschen Black Label dabei. Zu viert haben wir sie leer gemacht, um Rolfs Geburtstag zu feiern. Am nächsten Morgen ging natürlich nichts mehr. Der Ansatz war weg. Abends dann Capriccio. Also erstmal los, um im Schneetreiben an der Themse die Wolken im Gehirn los zu werden. Hat funktioniert. Das war eine Lehre. Kein derartiger Exzess mehr.

Durch Schaden wird man klug.

Anders ist die Situation, wenn man sich "durchgeblasen" hat. Da gilt es erstmal, Ruhe zu bewahren, den (verlorenen) Ansatz mindest einen Tag ruhen zu lassen. Anschließend muß der Ansatz wie bei einem Anfänger (aber im Schnellverfahren) neu aufgebaut werden. Krankmelden und Nerven bewahren. Vernünftig arbeiten. Und : NIE WIEDER.

Wenn es ganz dick kommt, muß man eben z.B. bei den Proben viel "mimen". Viele Dirigenten merken das gar nicht. Verständnis dafür, daß das Arbeitspensum zu groß sein könnte, darf man nicht erwarten. "Was soll das, Salome ist doch ein kurzes Stück ! Eine kleine Oper !"
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Re: Belastungen

Beitragvon www_corno_de » Di 17. Feb 2009, 09:30

Prof.!

Na also, so sieht es anders auch. Manche denken sonst, der Pizka meint, ich soll nicht wimmern und blasen, blasen, blasen! Deswegen mein Einwurf.
Darf ich ganz vorsichtig, wirklich ganz vorsichtig, anmerken, das nicht alles auf Sie zielt. Sie müssen sich nicht auf eine üble Nachrede verteidigen.
Ihre Verdienste sind unbestritten.
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Re: Belastungen

Beitragvon Prof » Di 17. Feb 2009, 14:33

Robert ! So wichtig bin ich auch nicht, daß ich alles auf mich beziehen müßte. Ich habe aber im Laufe von über fünfzig Berufsjahren fast alles erlebt, was einem so als Hornist unterkommt. Außerdem konnte ich noch unter vielen ganz großen Dirigenten spielen, - und teile eben meine Erfahrung mit den anderen Forumsteilnehmern, teils zur Information, teils zur Unterhaltung, teils zur Warnung. Wer kein Interesse daran hat, muß meine Beiträge einfach nicht lesen.

Übrigens: die Biographie "Josef Suttner 1881-1974" ist bereits in der Druckerei und wird demnächst bei Schneider in Tutzing zu haben sein. Mehr Info kommt hier in kurzer Zeit; muß eben mit Schneider noch abgesprochen werden.
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Re: Belastungen

Beitragvon Konstantin Becker » Mi 18. Feb 2009, 00:22

Prof hat geschrieben:Fangen wir es also etwas anders an. Was soll denn das Gejammere von wegen viele Stunden. Eiunmal ein Beispiel:
Italien Tournee Anfang September mit Sawallisch. Programm 1: Don Juan, Till, Heldenleben Programm 2: 7.Beethoven, Heldenleben. Anspielprobe in Pompei 19:00, 35 Grad. Don Juan ganz durch; Konstantin hat verstärkt; Till im Original mit 8 Hörnern, fast ganz durch, Heldenleben auch halb durch (kein Verstärker am 1.Horn), Meistersinger Vorspiel (Zugabe) halb durch; 30 min. Pause, Konzert volles Programm. Da brauchst eben Reserven..


Ich erinnere mich bestens... war damals gerade 25 Jahre alt 8-)
Hans kam eben aus dem Urlaub (ohne Horn) und hat dieses Wahnsinnsprogramm wie ein Held gespielt! Max Hochwimmer (heute 2. Hornist an der Bayerischen Staatsoper) und ich sagten nur: "wenn er heute nicht draufgeht, dann bringt Ihn nichts mehr um!"
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Re: Belastungen

Beitragvon Alex » Do 19. Feb 2009, 08:55

Hallo Kollegen,
Ihr dürft aber nicht vergessen, dass solche Extremleistungen nur von Hornisten geschafft werden, die an Häusern mit extremen und stetigen Spielplänen beschäftigt sind. Ich will damit sagen: wenn man an einem Haus mit einem großem Spielplan(Wagner,Strauss ect.) arbeitet, ist es kein Wunder so ein Programm zu bewältigen.An einem B/C/D-Haus wird es dann kritisch.Und da liegt der Hase im Pfeffer.Diese Häuser müssen oft auch Musical spielen und da sind diese Programme natürlich viel schwieriger zu bewältigen.Natürlich ist die Leistung von Hans und den ganzen anderen Helden unbestritten.Als ich das erste mal Holländer gespielt hatte, dachte ich hinterher ich muss sterben.Ein Jahr später spielte ich den ganzen Ring am Oster-Wochenende und dachte: was der Holländer für ein kurzes,nettes Stück doch ist.
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Re: Belastungen

Beitragvon Prof » Do 19. Feb 2009, 21:18

Der Holländer ehrlich durchgespielt und dazu wie heute üblich ohne Pausen wird nie ein niedliches Stück sein. Er ist und bleibt für den Ansatz gefährlich - wenn man nicht aufpaßt. Das gilt auch für die dreiaktige Fassung. Im Ring gibt es genug Pausen zum Ausruhen. Naja, Siegfried 3.Akt und Götterdämmerung zweiter Akt sind extrem - am ersten Horn. Am dritten oder an der Tuba bläst sich das mit "einer Backe".
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Re: Belastungen

Beitragvon Alex » Do 19. Feb 2009, 23:20

Natürlich ehrlich, geht bei uns gar nicht anders.Und auch die Ur-Fassung ohne Pause.Ich schrieb auch nicht niedlich.Obwohl mit oder ohne Pause macht keinen großen Unterschied. Ich finde den Ring in 4 Tagen am ersten Horn anstrengender als Holländer, sorry Hans ist meine Erfahrung.
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Re: Belastungen

Beitragvon Prof » Fr 20. Feb 2009, 07:59

Alex, Rheingold und Walküre sind nicht so schlimm. Im dritten Akt Walküre ist schon einiges zu blasen. Bei Siegfried muß entweder für den dritten Akt der Rufbläser herhalten oder er spielt eben eins, dann den Ruf und drei. Bei der Götterdämmerung muß auch geteilt werden. Ich habe auch einmal in Augsburg in einer Woche als Aushilfe dreimal Götterdämmerung incl. Ruf durchgeblasen (HP, GP und Premiere) plus zwei andere Proben und noch zwei Ballette in München. Den Siegfried habe ich ebenfalls durchgeblasen incl. Ruf; ungefähr an zehn Abenden.

Alex, das muß und sollte aber nicht sein. Es geht an die Substanz.

Holländer wurde bei der zweiten Aufführung in Dresden von Wagner besonders wegen der starken Belastung der Hornisten auf drei Akte aufgeteilt, obwohl es dramaturgisch sicher besser wäre, die Fassung ohne Pause zu belassen. Das geht auch, wenn am nächsten Tag frei ist. Aber da kommt dann z.B. "Cosi mit dicker Lippe". Dafür kann man sich nichts kaufen. Theaterleitungen oder Dirigenten haben davon keine Ahnung, Sportlehrer vielleicht. Zur Zeit kann aber niemand außerhalb der Spitzenorchester den Protest riskieren. Das geht sofort in die Öffentlichkeit und die Musiker bekommen eins drauf.
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