Das Ende der Musiker

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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon www_corno_de » Sa 14. Feb 2009, 21:10

Bei Rieu hören ich (wenn ich`s mir 5 min mal antue) manchmal Instrumente, die gar nicht auf der Bühne sitzen. Dabei war Rieu`s Vater ein vorzüglicher Kapellmeister, der in den 80iger Jahren in Leipzig die Oper leitete.
Wenn das der Ersatz für die zahlreichen geschlossenen Orchester (gibt es darüber irgendwo eine Auflistung?) in Deutschland ist - Schande!!!!
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon Martin2 » So 15. Feb 2009, 10:21

Im Ganzen läuft es doch darauf hinaus:
Der Kunde (Konzertbesucher) bekommt das, was er will, denn er ist König. Er zahlt. Und das möglichst wenig. Da der normale Abonnent wie auch der Gelegenheitsbesucher meist keine Ahnung vom Stück (den Stücken) hat (Besetzung, Besonderheiten wie der oben angesprochene Beckenschlag oder die Einrichtung der Harfe), fällt es ihm natürlich nicht auf, wenn solches fehlt oder falsch ausgeführt wird. Gilt auch für den Nachschlag beim Wiener Walzer. Ergo spielen die, die auf den Kassen sitzen, dieses Spiel mit. Wer Rieu besucht, geht auch zum Stadl. Das entsprechende musikalische Niveau der Klientel spricht für sich.
Was tun?
Sollen die restlichen Musiker eines durchrationalisierten (zusammengeschrumpften) Orchesters streiken oder gar öffentlich demonstrieren? Aus Angst um ihren Job tun sie das sicherlich nicht. Soll das wissende Klientel der Besucherschaft diese Aufführungen boykotieren? Das tun sie vermutlich sowieso. Sollen die Stadtkämmerer oder Kulturdzernenten noch mehr Geld für Kultur lockermachen, daß dann den Krankenhäusern oder Feuerwehren fehlt? Das Geschrei wollte ich mir nicht anhören!
Wie mans dreht und wendet, es bleibt bescheiden bis niveaulos. Aber die Verantwortlichen sollten so ehrlich sein und auf eine "Reduzierte Version" des Ganzen aufmerksam machen! Da Ehrlichkeit heutzutage aber als Schwäche gilt, wird es auch dazu nicht kommen.
Es ist ein Teufelskreis: Die Orchester und der gesamte Kulturbetrieb brauchen die modernen Medien (CDs, etc.) um sich bekannt und beliebt zu machen. Doch genau diese Medien mit ihren fast unbegrenzten Möglichkeiten sorgen dafür, daß die Livemusik ersetzbar ist.
Es kommt der Tag, an dem ein Dirigent vom Hornisten verlangen wird, er solle doch bitte zweistimmig spielen.....
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon hubcia » So 15. Feb 2009, 13:42

Hallo,
das Ende der Musiker? Hoffentlich nein. In einer Kulturlandschaft, in der Unmengen Geld für Sportanlagen ausgegeben werden und Musikschulen aus den kommunalen Einrichtungen herausgenommen werden, um ihr Überleben im Vereinsstatus mit kostengünstig anzubietendem Gruppenunterricht sichern zu müssen, kommen einem wirklich Zweifel an einem Willen zur Erhaltung dieser Spezies.
Wie pädagogisch sinnvoll der Gruppenunterricht ist, möchte ich damit nicht zur Diskussion stellen, sondern lediglich darauf anspielen, dass er überwiegend aus Kostengründen und nicht aus pädagogischen Gründen angeboten wird.
Letzthin habe ich meinen Augen nicht getraut, als ich bei Vioworld eine Stellenanzeige des Bay. Rundfunks gesehen habe, in der eine Stelle für 2. Horn mit Verpflichtung zur 2. Klarinette (dt. System) ausgeschrieben wurde. Vielleicht musste man diese Stelle ausschreiben, hatte aber keinerlei Interesse, sie jemals zu besetzen?!
Gestern war ich in einem Konzert, das seinem Publikum (ausverkaufter Saal 1100 Pers., Durchschnittsalter 67 Jahre) passend zur Jahreszeit "leichte Muse" bot. Viel Abwechslung wurde geboten von J. Strauß über L. Fall zu Offenbach , Auber, Künnecke etc. Musiker wissen, dass die leichte Musik nicht immer leicht zu spielen ist. Aus Kostengründen findet die 1. Tuttiprobe mit Sängern und Blech am Vorabend des Konzertes statt. (Die Besetzung ist glücklicher Weise gut besetzt mit 4Hrn, 3Pos,2Trp, 5 Schlagwerkern, Harfe, Holz und reichlich! Streichern.)
Für die Musiker ist es allerdings absolutes Stuhlkantenfeeling. Am Konzerttag selber dauerte die Generalprobe 3,5 Std. und bis zum Konzert blieben 5 Std. angespannte Erholung. Als in der 2. Konzerthälfte die Hörner beim Kaiserwalzer leichte Unsicherheiten zeigten, schüttelte ein älterer Herr in der Reihe vor mir missbilligend den Kopf. Ich hätte ihn am liebsten gefragt, ob er sich so einen Kraftakt mit 67 Jahren- das 1.Hrn ist ein pension. Profi- zutrauen würde. Wenn ich den Kaiserwalzer nur perfekt von der Platte kenne, bei der mit Sicherheit ein begnadeter Tontechniker im Falle eines Falles zur "Schere" greifen kann, weiß ich womöglich den Live-Fall nicht zu schätzen. Ein mir bekannter prof. Englischhornist meinte, ein Solo ist wie ein Seelenstripp. Ich riskiere alles, auch wenn es mal nicht so klappen sollte... Live ist das Beste, um Musikmachende zu erleben. Musik besitzt so viel Tiefe und "Action", die man in so manchem Thriller, Actionfilm oder Schmachtfetzten im Kino oder Heimkino weder zu sehen noch zu hören vermag...
Dies ist ein Plädoyer für die Musiker!
Vielleicht kennt jemand einen professionellen Musiker, der sowohl Horn als auch Klarinette spielt -sukzessiv und nicht simultan ;) ...
Schönen Gruß von einer Neuen im Forum
Zuletzt geändert von hubcia am Mo 16. Feb 2009, 13:18, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon Martin2 » So 15. Feb 2009, 14:28

Hallo Hubcia, willkommen im Forum!

Das mit der Horn / Klarinetten- Stellung habe ich auch gelesen und hielt es zunächst für einen Witz. Ist es aber anscheinend nicht. Die Anzeige stammt tatsächlich vom betreffenden Orchester.
Über die Vor- und Nachteile von Einzel- und Gruppenunterricht mag man streiten können. Ich kombiniere beide Möglichkeiten. Den Kindern macht es keinen Spaß, immer nur mit einem "alten Sack" zu üben. In der Gruppe mit Gleichaltrigen fühlen sie sich sichtlich wohler. Und Spaß machen solls ja auch.
Musik gilt in der heutigen Pädagogik nichts mehr, das ist schon lange bekannt. Die Vereine können sich sich ja damit "abplagen", dann kostets die Kommune wenigstens kein Geld. Das wird sich auch nicht mehr ändern!
Doofe Konzertbesucher sind es nicht wert, daß man sich mit ihnen befaßt. Diejenigen, die meinen, live müsse immer perfekt sein (kann es gar nicht!), haben keine Ahnung und selbst ein Instrument zu spielen ist denen meist nicht vergönnt.
Im alten Forum hatte ich folgendes Beispiel glaube ich schon einmal geschrieben:
Nach einem Konzert von H. Baumann kam eine Dame zu Baumanns Frau und salbaderte: "Ein fulminantes Konzert, daß Ihr Mann gab! Aber warum hat er es denn nicht auf dem Naturhorn geblasen?" (Strauss 1)
Hella: "Würden Sie ein Klavierkonzert von Rachmaninov auf einem Cembalo spielen?!"
Noch Fragen?
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon Prof » So 15. Feb 2009, 20:01

Hallo Robert, hallo Hans !

Beide habt Ihr den Nagel auf den Kopf getroffen, ohne Euch auf den Daumen zu hauen. Bravo ! Großens Bravo ! Ich möchte noch "einen draufsetzen" ! Die dusselige Dame vergißt ganz, daß auch eine Konserve erst mal eingespielt werden muß. Von wem aber, wenn es keine guten Musiker mehr gibt. Wenn die weniger guten (es gibt keine schlechten Orchester) Orchester zugemacht werden, dann gibt es auch kein "Probierfeld" mehr für die besseren oder vom Glück mehr begünstigten Kollegen, die sich in der Provinz die Grunderfahrung im Orchester erwerben. Dann sterben die Spitzenorchester auch den "Heldentod" und es gibt dann gar niemand mehr, der auich noch das seichteste Zeug aufnehmen kann. Was bleibt ? Samples, mit denen dann leblose Partituren in leblose Musikuntermalung umgewandeld und technisch aufgepeppt wird. Wir sind gar nicht mehr so weit entfernt davon.

Und überhaupt: "Es lebe die durch das Fernsehen (Andrieu Betrug ! z.B.) mit verursachte Volksverblödung !"

Robert, Kopien könnenbei öffentlichen Aufführungen nur verwendet werden (etwa zur Schonung des echten Materiales), wenn die Originalstimmen zusätzlich aufliegen. Abhilfe schafft ein kurzes Telefonat mit den lokalen GEMA-Agenten. Ein paar solche Aktionen, dann wird es für einige Zeit besser. Dann muß man halt wieder eine Aktion starten, usw. Wenn es dann mal einige Prozesse gegeben hat, wird auch das Bewußtsein der Öffentlichkeit wachgerüttelt. Darfst Dir aber von den politischen Parteien (außer vielleicht FP und CD und vielleicht CS) nicht viel an Unterstützung erwarten.
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon www_corno_de » Mo 16. Feb 2009, 09:25

Was noch hinzu kommt bei den kleinen Orchestern, das Sparwille und das verlangen, trotzdem maximales anzubieten. Das endet in der sklavenähnlichen Ausbeutung der Musiker. Zwei Beispiele.

Das Orchester Halberstadt und Wernigerode führten 2008 die 2. Sinfonie von Mahler auf. Die Situation in der Horngruppe: Die Bühnenhörner kommen vom Band! Das leider nur 4 Hörner insgesamt angestellt sind, wird das Werk mit 4 Hörnern aufgeführt. Pausierende Hornisten versuchen Horn 5. und 6 mit zu spielen - es gibt kein Arrangement! Lobhudelei der Offiziellen am Ende - wir haben 2.Mahler fantastisch aufgeführt. Keinerlei öffentliche Kritik, ergo werden die meisten Konzertbesucher gar nicht merken, das da ein Betrug für ihr Eintrittsgeld stattfindet. Nach Ende des Konzerts meldeten sich zwei Hornisten krank! Andere Instrumentengruppen lasse ich aus Unwissenheit mal unbeleuchtet, besser ist das!

Bei einem Freiluftkonzert 2008 (Mücken ohne Ende, da mitten im Wald!) wurde ein wirklich schweres Programm angesetzt. Ouvertüre aus Hänsel und Gretel, Knusperwalzer, Freischütz - Ouvertüre, Wassermusik und ein nettes Walzerprogramm.
Da man Kosten sparen wollte, wurden verschiedene Aushilfen erst zur Generalprobe eingeladen. Diese fand unmittelbar vor dem Konzert statt. Dazwischen waren 30 min Pause. Da zu einigen Werken eine Ballettgruppe tanzte, musste öfter ein Werk geprobt werden. Der Knusperwalzer, an sich schon eine gute Seite voll Hornmusik, wurde einmal wiederholt gespielt. Insgesamt habe ich so z.B. dieses Werk an diesem Tag 10x gespielt. Kann da Nr.9 und 10 noch perfekt sein? Das ist schliesslich der Anspruch das Publikums.
Der Dirigent fragte sogar spontan nach, ob man den in der Pause nicht noch etwas Hornquartett geben könnte.
Bezahlung 30 € die Probe, 80 € das Konzert. Eingesetzte anwesende Zeit von 14.00 - 22.30 Uhr also 8,5 St . Stundenverdienst unter 13 €, An- und Abfahrt zeitlich gratis (Fahrgeld wurde gezahlt, an mich als vor Ort jedoch nicht, klar). Übzeit sowieso.

Was kann man gegen Niveauverlust und Ausbeutung tun? Ich sehe nur viele schreckgeweitete Musikeraugen.
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon Raphael » Mo 16. Feb 2009, 14:16

110€ für 8,5 Stunden ist wirklich mickrig. Da krieg ich hier um den Bodensee (wo es zum Glück an Muggen (noch) nicht mangelt) als Schüler meistens mehr. Für einen Profi inakzeptabel.

Die Situation scheint ähnlich schlimm wie bei den Kirchenmusikern (mein Bruder ist einer). Eine Standard-Stelle (3-4 Messen pro Wochenende, Chor) für A-Kirchenmusiker ist von der katholischen Kirche mit etwa 1500€ veranschlagt. Davon kann man mit etwas Mühe alleine leben.
Zuletzt geändert von Raphael am Mo 16. Feb 2009, 14:19, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon Thomas » Mo 16. Feb 2009, 14:18

Dafür würde hier niemand spielen.
Kein Freelancer und kein Kollege mit Festanstellung.
(Einige von letzteren unterbieten mittlerweise leider die Freelancer Tarife. :( )
Unterkante im Köln Bonner Raum ist 50 € für Probe und 100 € fürs Konzert.
Nach Stunden darf man nie gehen, dann wirds meist deprimierend.

Für Freelancer tut sich seit ein paar Jahren ein neues Problem auf:
Ganze Städtische Orchester, die als Dienst die (oben genannten) Tarife der freien Orchester noch unterbieten. Das kann nur in einer Art Mischkalkulation gehen, für deren Budget also so eine Art Extra. Die einzelnen Musiker würde dafür als Mucker nicht spielen.
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon david » Mo 16. Feb 2009, 18:47

Zum Thema Konservenmusik (den Kopf in den Sand stecken hilft schließlich nicht):
http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/742/343583/text/
und
http://www.vsl.co.at/
:| david
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Re: Das Ende der Musiker

Beitragvon www_corno_de » Di 17. Feb 2009, 07:34

Für ein Filmorchester ist es sicher bitter und auch die Unterhaltungsmusik ist davon betroffen. Nur kann ich mir beim besten Willen keine Klassik-CD mit einem Sampler vorstellen! Ich arbeite auch etwas mit Samplern, der Aufwand, eine einfache Blockflöte z.B. mit allen Anblasvarianten und Nuancen usw. realistisch darzustellen ist, wenn machbar, unglaublich hoch. Rein wirtschaftlich ist es da einfacher besser, eine echte Blockflöte zu nehmen.
Wenn ich da z.B. den Hans Zimmer sehe, was der für Technik einsetzten muss um die Ergebnisse zu bekommen.....

Vielleicht sollte man in Orchestern anregen, mal Andre-Rieu-Gedächtnisminuten zu veranstallten. 10 min spielt das Orchester im Vollplayback, da würde für ein Kammerorchester auch mal die Alpensinfonie drin sein. Ich bin dann nicht ganz unverzagt, das einige Konzertbesucher dann sagen: "Du,ich glaub die haben gemogelt. Ich hab doch aber voll bezahlt."
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