Seiten: 1 2 3 Zurück zur Übersicht
Autor
Thema: Musikalische Prostitution oder Erfahrung sammeln?


Hallo Hardi !

Ganz so, wie Du das schilderst, ist es auch nicht. In der Praxis kann man ziemlich früh mit echter Musikerziehung beginen. Meist ist das an öffentlichen Schulen kostenlos. Darauf aufbauend kann der Instrumentalunterricht schon sehr früh beginnen. Selbst am staatlichen oder städtischen Konservatorium kommt man bei entsprechender Begabung schon als früher Teen zumindst als außerordentlicher Schüler/Student an. Und das kostet meist nur eine ganz mäßige Studiengebühr. Wenn man fünf Jahre ernsthaft (auch neben dem Gymnasium z.B.) studiert hat, müßte die Orchesterreife schon fast erreicht sein. Viele erfolgreiche Hornisten in Orchestern der Spitzenklasse kamen frisch von der Ausbildung gleich "in die Schußlinie" (Seifert, Hauptmann, Dengler, Barboteu, Ronald Janezic, Tomböck, Berger Roland, Pizka, usw.).

Wenn aber die Begabung nur mäßig ist, .......
Aber solche werden auch gebraucht.

Und die Instrumente ? Warum hast Du 12.000.- EUR ausgeben müssen ? Ich kam mit einem fast fünfzig Jahre alten oft geflickten Wienerhorn das ganze Studium aus und habe es sogar noch als Nachfolger Gerd Seiferts in Düsseldorf geblasen. Vergleiche auch mal, wie hoch die Investitionen hinsichtlich Instrument für Streicher sind. Das ist ziemlich fünfstellig. Oder bei Pianisten ? Da sind 50.000 schnell weg.

Was bringt denn die Teilnahme an vielen Kursen im Vergleich mit dem Lehrer, dem man voll vertraut ? Etwas kennenlernen der Konkurrenz im Vergleich vielleicht oder eigene Standortbestimmung ?

Ds mit er Altersversorgung ist natürlich ein Problem für Langzeitstudenten !!!

Es liegt also meist an der Software (Spieler) als an der Hardware (Instrument). "Es gibt so unheimlich viele Ausreden ......."



Werbung
Das große Verzeichnis für Musiker und Künstler.


An Hardi:
"Unter dem Strich ist der Job des Musikers einer der schlecht bezahltesten, der nur mit sehr viel Idealismus zu bewältigen ist."
Staunen: "bezahlt", "bezahlter", "am bezahltesten"
Setzen, Nicht genügend!
Aber nicht wundern, im TV und Radio ist das üblich!
?!?!
Hödlmoser



Lieber Hardi,

das mit den Investitionen ist relativ. Denn auch der Laie "muß" ein Instrument kaufen. Zudem kenne ich kein Orchester und auch keinen Musikverein oder Posaunenchor, wo keine "Dienstinstrumente" vorhanden wären. Die sind schließlich zum Benutzen angeschafft worden. Man kann da auch drauf spielen, wenn man will. Natürlich lasse auch ich mir nicht vorschreiben, auf welchem Horn ich spielen möchte. Das Anschaffen des Horns ist dann, genau wie die Lehrgänge, eine freiwillige Investition. Und als Student hat man ja auch so ziemlich überall mit Ermäßigungen zu rechnen; teils sogar beim Instrumentenkauf.

Wie Beate schon schrieb, sind Lehrjahre keine Herrenjahre. Und das Sammeln von Erfahrung ist durch nichts zu ersetzen! Ob man dafür bezahlt wird oder wie hoch das Salär ist, sollte eher zweitrangig sein. Möglichkeiten gibts genug: Ob im örtliche Blasorchester oder halt die hier angesprochenen Muggen, es findet sich immer was. Hauptsache, so viel wie möglich spielen und auch in so viel verschiedenen Ensembles wie möglich spielen! Ob großes Orchester oder Bläserquintett, alles dient letztendlich der Vorbereitung auf den Beruf. Wer in einer neuen Gruppe mitspielen möchte, sollte auch in der Lage sein, die dort herrschende Intonation (ist tatsächlich überall anders und nicht mit der Intonation am Stimmgerät vergleichbar), die unterschiedlichen Interpretationsgewohnheiten oder was auch immer. Je mehr Erfahrung, desto weniger kann Neues noch schocken! Und wenn einem die Muggen schon ins Haus getragen werden, ist das doch ein Zeichen für gute Leistung und ein wichtiger Vertrauensbeweis! Lehnt man dann ab, spricht sich das schnell rum: "Den brauchste nicht fragen, der is nur hinterm Geld her!" Keine gute Werbung in eigener Sache.
Natürlich muß der Musiker von seiner Tätigkeit leben können! Und sofern man nicht in einem Spitzenorchester die sprichwörtliche "erste Geige" spielt, zumals als Neuzugang, ist es sicherlich nicht einfach! Ohne Unterrichten und Muggen gehts halt nicht. Ich habe viele Bekannte, die in kleinen Provinzorchestern Dienst tun. Ich bin also durchaus auch als Laie auf dem Laufenden, was da so abgeht. Es ist nicht einfach! Das weiß ich. Dafür hat der Musiker aber einen Beruf, der einem Spaß macht und den er sich selbst ausgesucht hat! Welcher Industriearbeiter kann das von sich behaupten? Den ganzen Tag nur Akkord (hier mal im nichtmusikalischen Sinne) und Druck von allen Seiten! Dazu ein unerhörtes Lohndumping. Ich kenne Leute, die bei Leiharbeiterfirmen arbeiten: 8,- € brutto / Std., bis zu 60 km Anfahrt zur jeweiligen Firma, Miete, Auto und Familie ernähren! Überstunden ausgeschlossen! Kostet die Firma zu viel Geld. Schwarzarbeit ist auch nicht drin! Und dann schwätzen die Idioten von 7,- € Mindestlohn! Das schlimme: Lehnt man ab, bekommt man kein Geld mehr vom Arbeits(vernichtungs)amt! DAS ist Sklaverei!

Also: Nicht motzen! Ran an die Muggen!

Blech blasen statt Blech reden!


An Prof. Pizka:
Die meisten Berufsmusiker die ich kenne, haben vor ihrem Studium einige Jahre eine Musikschule besucht, oder Privatunterricht genommen. Denn an ein städtisches Konservatorium, mit mäßiger Studiengebühr, kommen junge Schüler aus der Provinz leider nicht.

Was die Finanzierung der Instrumente betrifft. Ich habe von Anfang an mehrere Instrumente gespielt. Dies hat mir bis jetzt als freiberuflicher Musiker eine Menge Vorteile verschafft. 12 000 Euro kommen da schnell zusammen. Viel schwieriger war es für uns, als meine Frau ein Probespiel gewann, und ein neues Cello angeschafft werden mußte. Haben sie schon mal probiert, in der Probezeit einen Kredit über 30 000 Euro zu bekommen? Aussichtslos!

Die Kosten für ein Musikstudium sind mit 50 000 Euro eher niedrig angesetzt. Wenn man nicht gerade bei Mutti wohnt und durchgefüttert wird, muß man mit Miete, Semesterbeitrag und Verpflegung, locker 1000 Euro pro Monat aufbringen. Das ergibt nach einer "Regelstudienzeit" von 5 Jahren ca. 50 000 Euro.

An Martin:

Was ich in meinem Vergleich zu erklären versucht habe war, daß ein Musiker bis zu seinem ersten Gehalt viel höhere Investitionen tätigen muß und besser qualifiziert sein muß, als ein Berufskraftfahrer. Miete, Auto und Familie hat auch ein Tuttist mit 1300 Euro Netto pro Monat. Oft wohnt dieser jedoch noch jahrelang in fast ärmlichen Verhältnissen, bis er sein Studium und sein Instrument abbezahlt hat. Und das nur, weil er seinen Job gern macht.






Hallo Martin2 und Hardi ! Nur einige Punkte. Ich dachte immer, Musiker würden sich zum "akademischen Volk" rechnen oder - besser gesagt - möchten gerne als Akademiker anerkannt sein. Warum dann Vergleiche mit LkW-Fahrern oder Leiharbeitern. Ein Vergleich mit Jungingenieuren oder Jungärzten scheint mir da eher angebracht. Diesen geht es wie den Musikern. Sie werden in den ersten Berufsjahren bei Unterbezahlung maßlos ausgenutzt.

Bezüglich des Konservatoriums habe ich mich schon geäußert. Bei entsprechender Begabung (Betonung auf BEGABUNG) gibt es Freiplätze, und Stipendien oder andere Fördermaßnahmen. Und die Anfangsinvestition (noch im Kindesalter oder sehr früher Teen) ist nicht so gewaltig. Außerdem wird von den Eltern auch in den Sport investiert. Ich bin schon als 14-jähriger wöchentlich zum Unterricht nach Wien gefahren (180km Entfernung mit dem Zug, Studentenkarte, mittags nach dem Gymnasium hin, eine Stunde geübt, eine Stunde beim Unterricht anderer zugehört, eine Stunde Unterricht, anschließend Stehplatz in der Staatsoper, 23:00 Heimfahrt Wien-Linz, um 02:00 im Bett, um 08:00 im Gymnasium). Das Geld für die Fahrten habe ich mir selbst meist im Fasching im Ballorchester verdient. So geht es. Daneben spielte ich in einem Kammerorchester und in einem Semi-professionellen Symphonieorchester, in zwei Blaskapellen, bei Rundfunkaufnahmen, als Aushilfe bereits im Theater und im Sommer Vollzeit im Kurorchester. Und in diesen Ensembles war es keine Prostitution, wenn man gespielt hat.

Es gab Dirigenten mit größtem Respekt vor den Meisterwerken. Diese Dirigenten waren zwar sehr streng, erkannten und förderten aber junge Talente. Sehr richtig bemerkt, Martin2, die Stücke interessierten an erster Stelle. Aber es gab immer etwas zur Unterstützung des Studiums, nicht üppig, aber anständig, nicht wie heute oft einen entwürdigenden Betrag.

Und nun zum angespochenen Spaß an der Freud:
Nachschlag und andere Begleitung, meist von Hörnern, zweiten Violinen und Bratschen fabriziert, gehört wirklich nicht zu den lustbeladenen Tätigkeiten, werden jedoch erträglich, wenn man den Hauptstimmen bzw. den Sängern zuhört. Dann werden auch Traviata und Rigoletto spannend. Übrigens, auch bei diesen Stücken kann man gelegentlich ganz schön "einfahren", liebe Kollegen. Wenn man jedoch nicht an der ersten Stimme sitzt, gibt es schon jede Menge Frust. Also zählt Euer Argument nicht.

Die Dienstinstrumente werden auch nicht gleich beim Eintritt eines neuen Kollegen angeschafft. Was nützt uns Bläsern ein "abgelegtes" Dienstinstrument ? Und vorgeschrieben oder zumindest "dringend angeraten" wird ein bestimmtes Fabrikat in der Gruppe, sonst ist man bald "schief gewickelt", es sei denn, man ist an der führenden Position von Anfang an echt überzeugend.

Stimmung ? Warum sollte die Stimmung von Ensemble zu Ensemble so stark wie beschrieben differenzieren ? Es gibt doch das Standard-a-440 bzw. 443. Sind wird durch den Eigensinn mancher Gruppierungen wieder ins 18. oder 19.Jhdt. zurückgefallen (Natürlich gibt es die Ausnahmen in den Barockgruppen) ?

Ein Letztes zum Studium:
Es wird viel zu lange studiert. Der Fortgang ist viel zu langsam, da vieles "eingeochst" werden muß. Außerdem werden neue, schwerere Aufgaben nicht entsprechend durch andere Literatur vorbereitet. Aber es muß schnell gehen. Warum werden schon während des Studiums Familien gegründet ? Das ist nur vergleichbar mit Fußfesseln beim Mittelstreckenlauf. Unser Beruf hat eben mit viel persönlichem Verzicht zu tun.

Andererseits gibt es viele hochqualifizierte Nebenberufsmusiker, die beides geschafft haben: Hauptberuf und Musikerberuf. Meine Hochachtung diesen Kollegen ! z.B. Hödlmoser, der sich vor keinem Hornisten im Orchester verstecken muß, sondern selbst heute noch zeigen kann, wie es klingen muß !

Werbung
Versenden Sie Ihre eigenen Newsletter als Text oder HTML Version.
Komplett mit An-/Abmeldefunktion, Robinson-Liste, Statistiken.
Starten Sie der WebMart Newsletter Software in 5 Minuten.


Prof:
"...Warum dann Vergleiche mit LkW-Fahrern oder Leiharbeitern? Ein Vergleich mit Jungingenieuren oder Jungärzten scheint mir da eher angebracht. Diesen geht es wie den Musikern. Sie werden in den ersten Berufsjahren bei Unterbezahlung maßlos ausgenutzt..."


Da hat der Prof ausnahmslos recht. In der Praxis sieht's allerdings so aus, dass sich die Anfangsgehälter von jungen Ärzten wirklich kaum von denen eines Kraftfahrers unterscheiden. Von den langen Diensten und der daraus resultierenden wesentlich längeren Wochenarbeitszeit ganz zu schweigen.

Viel schlimmer sieht es oft bei Krankenschwestern aus, die vom ersten Lehrlingsgehalt nicht mal das Quartier im Wohnheim bezahlen können, oder bei jungen Rettungsassistenten, die nach meist selbst bezahlter Ausbildung, auch schon mal mit einem Einstiegs-Nettolohn von € 950,- beschäftigt werden.

Noch schlimmer wird die Zukunft: für praktische Tätigkeiten in OP, Ambulanzen und anderen Funktionsbereichen werden bereits Physician Assistants mit Bachelor-Abschluß ausgebildet. Die ersetzen viele Assistenzarzt-Stellen, an denen bisher wichtige Erfahrungswerte gesammelt werden konnten. Bezahlung = ?

Und trotzdem arbeiten alle mit hoher Motivation in ihrem Beruf!

Vielleicht sollten wir alle ein bisschen weniger jammern und in Bescheidenheit und Demut etwas kürzer treten und zufrieden sein!

Mit herzlichen Bussis,
BEATE

PS: Vielleicht gibt's ja bald "Musican Assistants", die spielen dann Pfundnoten und Nachschläge...



Beate, das sind ja bekannte Tatsachen.

Franz Strauss wurde in der Bayerischen Staatsoper (damals Hofoper) erst einmal als "Eleve ohne Gehalt" eingestellt. - Pause ! - So jetzt habe ich das Dossier Franz Strauss vor mir. Dicker Brocken. Sehen wir mal nach. - "Als Eleve ohne Gehalt aufgenommen am 1. Juni 1847. - Wurde am 1.April 1849 mit inemn Gehalt von 100 fl. (=Gulden) als k.Hofmusiker angestellt. - Erste Gehaltserteilung. Durch eine Gehaltszulage von 400 fl. wurde am 24ten Mai 1850 das Jahresgehalt auf 500 fl. gestellt. usw."

So war das damals für alle. Aber wir wollen ja nicht die Zustände des mittleren 19.Jhdts, oder irre ich mich da ? Sagt aber niemand weiter, wie es damals war, sonst berufen sich Veranstalter auf diese Geschichten.

Beispiele aus meiner eigenen Laufbahn:
wenn ich damals kurz vor 1960 z.B. bei einem Konzert des Liebhaber-Symphonie-Orchestras in Vöcklabruck am ersten Horn ausgeholfen habe, bekam ich die Fahrt und 140.- ö.S. für die vormittägliche Generalprobe und das abendliche Konzert, auf dem auch schon mal die neunte Dvorak stand. Diese 11.- EUR reichten mir mit 17 Jahren als Taschengeld für mehr als eine Woche. Gar nicht so übel. - Im Kurorchester in Bad Hall erhielt ich brutto 1.750.- ö.S., - und kam damit zurecht. Das waren nur 145.- EUR.

Was aber heute oft zugemutet wird, ist nicht einmal einen Gedanken wert. "Ohne Geld ka Musik !" Damals hatte man innerhalb des großzügig zu sehenden Umfeldes der Stadt kaum Spesen. Man fuhr mit dem Fahrrad, das Horn im Hornsack auf dem Rücken. Essen und trinken gab es dazu frei. Heute muß man stundenlang mit dem Auto fahren und Busfahrten von zehn und mehr Stunden durchstehen (-sitzen), Spesen oder freie Station werden nicht geboten. usw.usw. Das trifft aber nicht nur den Musikerberuf, wie wir gelesen haben.

Noch etwas aus dem Strauss Dossier: Von wegen Neueinführung des Pensionsalters 67. Franz Strauss wurde mit 66 1/2 Jahren Ende November 1888 pensioniert. Seine Witwe erhielt nur ein Fünftel seines Endgehaltes als Pension.

Werbung
Leistungsfähige Forum Software für Homepage und Intranet.
Seiten: 1 2 3 Zurück zur Übersicht

WebMart Homepage Tools: Eigenes Forum kostenlos einrichten