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Thema: Bier und Betablocker
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http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0528/feuilleton/0005/index.html

Gott, was bin ich froh, nur Laie zu sein!!!

Ich habe zwar auch ziemlich schlechte Nerven, vor meinem allerersten Auftritt war ich wahrscheinlich der Liebling aller Katzen, denn ich nahm Mengen von Baldriantropfen auf Zuckerstückchen ein, aber die beschriebenen Mittel - puh, das ist schon heftig. Solch einem Druck möchte ich auch nie ausgesetzt sein.

Gruß vom hornspielenden Verwaltungsbeamten
Michael_dL

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Ich bin für meinen Lebensunterhalt zum Glück auch nicht aufs Hornspielen angewiesen, habe aber bei meinen Auftritten auch unterschiedlichste Situationen erlebt (Hochgefühl bis zum wirklichen Knieschlottern). Zumeist hing mein Zustand auch stark von meiner Vorbereitung ab. Sicherlich ist der Druck aber ein anderer, wenn die berufliche Existenz davon abhängt. Ein Philharmoniker erzählte mir, daß der Druck auch deswegen steigt, weil man nicht nur seinen Ruf, sondern auch den des Orchesters mitverantworten muss...

Das ist im Grunde genommen auch nicht anders als in einem Unternehmen. Dort ist es allerdings einfacher Schuld auf andere zu schieben. Für den Musikerberuf scheint man schon eine dicke Haut zu brauchen...



Es gibt da bestimmte Techniken:

mit beiden Beinen fest am Boden anschrauben

zu den zitternden Knien: beruhigt Euch, ich bin es nur !

im Zuschauerraum sitzen nur Krautköpfe

bestimmte Sitzpositionen erarbeiten, bei denen man absolut "alert" ist und bei denen man z.B. eine persönliche Höchstleistungsposition (automatisch) einschaltet. Das muß aber ganz konsequent auch bei den Proben durchgezogen werden. Zugegeben, es ermüdet schneller, aber es hilft.

EGO unterdrücken oder SUPER EGO aufbauen

und

sorgfältige und richtige Vorbereitung

nicht unbedingt gleich "nach den Sternen greifen", d.h. Selbstbeschränkung entsprechend dem echten Können

ein Fehler ist nicht gleich eine Katastrophe, sondern eben nur ein kleiner Unfall, der nicht zum Exitus führt

Radieren gibt es in der Musik nicht

Überhaupt: weg vom Alkohol, der weder beruhigt, noch tröstet, der aber das klare Denken, die verstandesmäßige Nervenbeherrschung negativ beeinflußt

kein Spaßtrinken mehr, höchstens zwei Gläschen Wein zum Essen, keine Drinks (mit seltenen Ausnahmen). Das Leben macht auch OHNE genausoviel Spaß.

NIE NACH BETA-BLOCKERN (oder ähnlichen Mittelchen) GREIFEN, außer der Arzt hat das z.B. bei Bluthochdruck verordnet. Die Wirkung ist für uns Bläser extrem schlecht: Hitzeanfälle, Reaktion wird stark verlangsamt, klares Denken wird eingeengt, .... (habe alles irgendwann ausprobiert, aus welcher Situation heraus auch immer, oder aus reinem Interesse). Die letzten dreizehn Jahre meiner Berufstätigkeit am ersten Horn habe ich durch (fast) totalen Verzicht auf Alkohol gut hinter mich bringen können (z.B. mit dreiundsechzig eine Serie von zehn Heldenleben und zehn Don Quixote, einige Rufe usw.). Es geht. Es geht auch für nebenberufliche Hornisten oder Laien. Wenn es wirklich zu schwer wird, bitte, dann muß man eben von der ersten Stimme Abschied nehmen oder das betreffende Stück delegieren. Es ist eben so. Aber: BETABLOCKER - großes Nitschewo, Njet, Tabu !





Das Problem ist die ständige Perfektionalisierung des Musikgeschäfts. Durch die heutige Technik werden Aufnahmen möglich, die noch vor 40 Jahren unmöglich zu realisieren gewesen wären, was die Qualität angeht. Durch eben diese perfekten Einspielungen ist das Publikum sehr verwöhnt! Die denken ja nicht daran, daß man jede Stelle der CD eventuell 15x aufgenommen hat und die besten Passagen zusammengeschnitten wurden. Im Konzert wird dann auch eben diese Perfektion einfach vorausgesetzt. Daß der Musiker aber aus Fleisch und Blut, vor allem aber aus Nerven besteht, interessiert die Besserwisser im Publikum nicht die Bohne! Auch Spitzeninterpreten haben mal nen schlechten Tag! Das ist eben so! Mich "freut" es immer wieder, wenn in einem Konzert mal was schief geht. Nicht aus Gehässigkeit, sonder weil sich der "Aha! Das hier ist live!"-Effekt einstellt. Jeder Konzertbesucher, der Ahnung von Musik hat, wird das wissen und verstehen. Die Anderen (Kritiker, Besserwisser und "hustende Abonnementen") dürfte man gar nicht erst reinlassen! Natürlich ärgern sich der Dirigent und das Publikum, wenn falsche Töne oder Einsätze kommen. Am meisten aber ärgert sich der Spieler! Und das allein ist "Strafe" genug! (Ich schäme mich jedesmal in Grund und Boden wenn ich was falsch gemacht habe.) Bei einigen Musikern ist das Nervenkostüm allerdings so dünn, daß sie das Saufen anfangen oder zu "Medikamenten" greifen. Medikamente dienen der Heilung einer Krankheit und nicht zur Ruhigstellung der Nerven. Nerven muß man anders behandeln. Und Alkohol sollte grundsätzlich (wie in anderen Firmen auch) im Orchester zur sofortigen Entlassung führen. Das Klischee des saufenden Musikers kommt ja nicht von ungefähr. Aldrovandini ist in jungen Jahren betrunken in einen Kanal gestürzt und ersoffen. Ebenso erging es einem Frankfurter Cellisten, den man tot aus dem Main fischte (ist einige Jahrzehnte her). Das Phänomen des Nervenflatterns aus Angst vor Fehlern ist in unsere Gesellschaft allerdings so verbreitet, daß man sich grundsätzliche Gedanken über unser völlig überzogenes Leistungssystem machen sollte. Wenn Kinder in der Schule schon Pillen schlucken, stimmt was nicht!

Blech blasen statt Blech reden!


Hallo Martin2
das mit den überhöhten Erwartungen des verwöhnten Publikums ist schon richtig, aber spielen nicht möglicherweise auch die Erwartungen der Musiker an sich selbst eine Rolle, wenn sie ihr eigenes Spiel mit dem der Super-Solisten vergleichen?

Ich glaube, die Erwartungen des Publikums werden durch die Musiker oft überschätzt. sie selbst wollen perfekt wein, aber das Publikum ist gar nicht so "geil" auf diese Perfektion.
Bei den Berliner Pilhamonikern o.ä. mag das Publikum (und natürlich die Kritiker) sehr hohe Erwartungen haben, aber bei vielen kleineren Orchestern ist es m.E. mit der Fachkunde und dem Anspruch nicht ganz so weit her.

Ich glaube viele Musiker machen sich selbst grundlos das Leben schwer.

Eine weitere Rolle spielt natürlich die Kollegialität unter den Musiker selbst, aber das wurde glaub ich schon mal erörtert.

Gruß



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Tabletten oder Drogen sind natürlich keine Lösung.
Möglichst oft öffentlich spielen schon eher.
Ein gewisses Maß an Lampenfieber ist normal und damit muß man lernen umzugehen.

Bei mir hats geholfen die Angst zu akzeptieren, nachdem Versuche die "autosugestiv" zu behandeln nichts fruchteten.
Im Falle von Nervosität also auf gute Atmung und das konzentrieren, was man spielen will und nicht auf die Angst.
Dann lassen deren Auswirkungen (trockener Mund, zittern etc.) auch schnell und dauerhaft nach.

Richtig nervös bin ich allenfalls noch unmittelbar vor einem schweren oder heiklen Solo und nicht mehr schon am Tag vor dem Konzert.



Wesentliche Ursachen für die Nervosität werden einfach nicht erwähnt:

Selbstüberforderung

Raubbau an den eigenen Fähigkeiten und Kräften.

Wenn man damit etwas besser umgeht, hilft es sicher von der Nervosität weg.

Es gibt auch positive Nervosität, nämlich das Aufgekratzt sein zur Höchstleistung. Wenn man es in den Griff bekommt, sich selbst positiv zu diueser Höchstleistung "hochzupumpen", dann sollte die Angstnervosität durch die positive Bereitschaft zur Höchstleistung kompensiert werden. Komisch ist es nur, daß Tuttisten weit eher nervös sind als Solohornisten. Bei den Solisten kommt die Soloroutine positiv zum tragen, während der Tuttist oft nur vor einem einzigen alleine zu haltenden Ton Angst hat. Deshalb sollten auch Tuttisten sich fleißig in der Kammermusik betätigen, vielleicht sogar in einer anderen als der gewohnten Position. Es hilft. Warum soll ein Tuttist nicht auch einen Soloabend, von mir aus auch im kleineren Rahmen bestreiten können ?



Klar, wenn die eigenen Kollegen einen hämisch grinsend verspotten, sobald mal was daneben geht, ist der Schlag auf die Psysche natürlich doppelt so groß. Ehrenwerte Kollegen tun sowas nicht! Denn schon im nächsten Takt kann ihnen Gleiches wiederfahren. Daß der Musiker an sich selbst eine hohe Erwartung hat, ist doch normal. Wozu übt man schließlich wie blöde? Und wenn man weiß, daß man das Stück beherrscht und es geht trotzdem in die Hose, ist der Ärger über sich selbst sicherlich höher, als der der Zuhörer, die den Fehler vielleicht gar nicht bemerkt haben (z.B. in einer tutti ff Stelle). Gerade ich als Laie würde mein Spiel nie mit dem eines Profis, schon gar nicht mit dem eines Spitzensolisten vergleichen. Das wäre absurd! Trotzdem sind diese Leute für mich natürlich Vorbilder, die ich schätze und mich an ihrem Können erfreue. Wenn ich mich als Solist vorne auf die Bühne stellen sollte, bekäme ich keinen Ton raus! Auf meinem Platz hingegen macht es mir nichts aus, eine Solostelle zu spielen, das bin ich von klein auf gewohnt (Musikschule, Posaunenchor). Im Gewühl des Ganzen fühle ich mich aber auch sicher ("Hier sieht mich keiner..."). Soviel zu einer "verdrehten" Psysche. Wenn natürlich hochbezahlte und hochangesehene Solisten ein Kozert verbocken, weiß es am nächsten Tag die halbe Welt! Wie sich dieser Imageschaden auf die Psysche auswirkt, kann man sich gut vorstellen. Lampenfieber ist normal und man sollte es auch nicht krampfhaft unterdrücken. Es gibt ein gutes Buch zu diesem Thema, das ich vor Jahren mal gelesen habe. Leider sind mir Titel und Autor entfallen. Dort standen viele gute Tips drin, die das Leben mit dem Lampenfieber einfacher machen. Vielleicht kennt hier im Forum jemand diese Buch?

Blech blasen statt Blech reden!


Martin2 noch etwas:
Spieltst Du die Oberon Ouvertüre (Anfang) hundertmal perfekt, hörst Du nichts von den Kollegen, der Kritik oder anderen. Wenn Du aber ein einziges Mal nur den kleinsten Kratzer drinnen hast, dann kommen alle auf Dich zu und erzählen Dir von dem sagenhaften Hornisten vor zehntausend Jahren, der dabei nie einen Fehler gemacht hat. Und das wird Dir dann auch noch nach zehn Jahren Pension um die Nase geschmiert. Ha-ha ! Man muß einfach lernen, mit derartigen Verhaltensweisen umzugehen. Das ist auch Routine.

Wenn Du richtig auf eine Solonummer vorbereitet und motiviert wirst, - wette ich -, dann kannst Du Dich genauso auf die Bühne hinstellen und ein Solo mehr oder weniger ablassen. Und wenn dann doch ein kleiner Fehler passiert, ist das tragisch ? Nicht doch. Es ist ein ganz kleiner völlig unbedeutender nur von böswilligen Anfeindern hochgemotzter Unfall. Kannst Du beim Autofahren jedem klitzekleinen Stein ausweichen, damit er nicht davongespritzt wird ? Nu eben. Das geht ja auch nicht.

Deshalb: Gut Holz beim nächsten Mal !



Ich könnte mir auch noch vorstellen, dass wir Hornisten ein ganz spezielles Verhältnis zu kleinen Fehlern haben, da diese sich wie Prof schreibt nie ganz vermeiden lassen.
Ich denke ein guter Lehrer muss seinen Schülern auch die "Verarbeitung" dieser kleinen Fehler beibringen, und ich glaube, dass dies bei anderen Instrumentengruppen nicht in diesem Umfang geschieht.

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